Montag, 22. Juni 2009

Ben Kiernan: Erde und Blut. Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute.



Die 19jährige Neda stirbt offenbar durch einen Scharfschützen inmitten einer Demonstration in Teheran

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- Weltgeschichte des Massenmords: Tödliche Konstanten, Das politische Buch, Neue Zürcher Zeitung, 13. Juni 2009
Ben Kiernan über den Völkermord in der Weltgeschichte und seine wiederkehrenden Motive
Thomas Speckmann

Genozid und Massenmord sind Begriffe der Moderne. Aber die Tat als solche ist so alt wie die Menschheit. «Am Anfang der Welt war nur Mord und Totschlag», schrieb schon 1559 der portugiesische Jesuit Manuel da Nóbrega. Seine Behauptung stützen heutige Prähistoriker, die vermuten, dass die Vorfahren des neuzeitlichen Menschen in Europa die Neandertaler ausgerottet haben. Archäologische Befunde deuten auf die Möglichkeit hin, dass auch in der Steinzeit lokale Gemeinschaften von rivalisierenden Gruppen regelrecht vernichtet worden sind.
So deponierten «Jäger und Sammler» vor über fünftausend Jahren in einer Region des heutigen Deutschland die Schädel von vierunddreissig Männern, Frauen und Kindern sorgfältig arrangiert in einer Höhle. Archäologen fanden diese Trophäen in Gruppen angeordnet. Die meisten wiesen Spuren von mehrfachen Hieben mit Steinäxten auf. Auch der Ackerbau ab der Jungsteinzeit zivilisierte den Krieg nicht. Im Gegenteil: Überschüsse an Nahrungsmitteln ermöglichten erst eine systematische Kriegführung. Forschungen der letzten Jahrzehnte nähren den Verdacht, dass die gut versorgten Ackerbaugesellschaften noch stärker als die prähistorischen Jäger zum Mittel des Massenmords gegriffen haben.

Ben Kiernan, aus Australien stammender, renommierter Historiker, hat einen grossen Wurf über Völkermord in der Weltgeschichte vorgelegt, der alles hat, was ein Standardwerk braucht. Der Gründungsdirektor des «Genocide Studies»-Programms der Yale University arbeitet systematisch die wiederkehrenden Muster und Motive heraus, die in allen Fällen zu beobachten sind: Rassismus und religiöse Vorurteile, die Verklärung der Vergangenheit, Expansionsbestrebungen und nicht zuletzt eine Idealisierung der Beziehung zum Boden, der einer bestimmten Gruppe exklusiv gehören soll. So sieht selbst zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein «postmoderner», kommerziell-terroristischer Akteur wie al-Kaida seine Mission darin, «antike» Kämpfe in einem zeitgenössischen Kontext weiterzuführen: Ein ethnisch reines, agrarisches Utopia soll auf den Gräbern der Opfer der Kriege von ehedem errichtet werden.

Kiernan schildert, wie die frühneuzeitliche Wiederentdeckung der Vernichtung Karthagos durch Rom wiederholt der Anlass zu Vergleichen mit dem Schicksal der eingeborenen Opfer der kolonialen Eroberungen war. In Irland und Mexiko stellten Beobachter sogar die Hypothese auf, die unglücklichen Eingeborenen seien die Nachfahren der aus ihrer Heimat vertriebenen überlebenden Karthager. Und 1692 verfolgte die englische Krone in den schottischen Highlands gegenüber dem MacDonald-Clan eine Politik mit dem Ziel, ihm das Schicksal Karthagos zu bereiten. Auch Adolf Hitler bezeichnete die römische Geschichte als «die beste Lehrmeisterin» und den Untergang Karthagos als «die schreckliche Darstellung einer (. . .) langsamen selbstverschuldeten Hinrichtung eines Volkes».

In der wesentlich früher auftretenden Metapher eines Gartens Eden, ob als unberührte ethnische Domäne, unbewohntes pastorales Idyll oder überlegene Agrarwirtschaft, macht Kiernan eine weitere Konstante im Muster der Motive für Massenmorde aus. Jene Metapher bot sich einer Reihe von Tätern an, von den spanischen Kolonisatoren der Neuen Welt und ihren englischen Zeitgenossen über die Nationalsozialisten bis zu al-Kaida. Der Mythos eines – vermeintlich – unberührten, unbewohnten Landes spielte jeweils eine Schlüsselrolle bei der Vertreibung und Vernichtung seiner bisherigen Bewohner. Dies galt auch für die Fixierung der neuzeitlichen Siedler auf die Kultivierung des Landes und ihre Neigung, es im Ganzen in Besitz zu nehmen, ohne den einheimischen Menschen ein eigenes Territorium zuzugestehen.

Reinheitswahn
Trotz der globalen Urbanisierung im 20. Jahrhundert hielt der «Musterbauer» Einzug ins ideologische Arsenal der Massenmörder: Die Nationalsozialisten benutzten 1943 den Begriff «vorbildliche Bauern», um die deutschen Siedler in den südrussischen Steppen aufzuwerten, und beförderten sogar Deutsche aus Ostafrika als «überlegene» Bauern in einen «Musterbezirk», den sie von Polen annektiert hatten. 1976 siedelten die Roten Khmer, deren Schreckensherrschaft Kiernan bereits in mehreren Studien beschrieben hat, «Musterbauern» aus der Südwestzone Kambodschas in den weniger loyalen, unterbevölkerten Nordwesten um. Vier Jahre später begann Indonesiens Militärregime, «Musterbauern» von Bali in das besetzte Osttimor zu schicken. Und ab 1983 richtete die mörderische Diktatur in Guatemala «Musterdörfer» für ihr genehme überlebende Ackerbauern ein. Für die eigenen Musterbauern gebrauchte schliesslich Rwandas Habyarimana-Regime den Begriff «fortschrittliche Bauern».

Auch der islamistische Terrorismus der Gegenwart basiert nach Kiernans luzider Genozid-Analyse auf jahrhundertealten Gewaltmotiven. Obsessive Vorstellungen von Reinheit und Verschmutzung verstärken seit je den Rassismus, der einem Völkermord Vorschub leistet. Viele Täter bedienen sich biologischer Metaphern, um Massaker zu rechtfertigen. 1641, während der irischen Rebellion, begründete der englische Kommandeur Sir Charles Coote seinen Befehl, nicht nur irische Frauen und Männer, sondern auch Kinder von über neun Zoll Körpergrösse zu töten, mit der Redensart «Töte die Nissen, und du hast keine Läuse». Im 19. Jahrhundert kam diese Parole im australischen Busch und im nordamerikanischen Westen erneut auf, als gängiger Aufruf zum Töten von Aborigines und Indianern. Auch die Nationalsozialisten verglichen ihre jüdischen Opfer mit «Läusen»; und al-Kaida bezeichnet die Schiiten als einen «Krankheitsherd».

Kiernan ermahnt uns, die Diagnose der wiederkehrenden Ursachen und Symptome von Massenverbrechen als notwendige Voraussetzung für Heilung und Prävention zu begreifen. Das Fundament dazu hat er mit seiner aufsehenerregenden Studie gelegt, die den historischen Vergleich ohne Scheuklappen wagt.

Ben Kiernan: Erde und Blut. Völkermord und Vernichtung von der Antike bis heute. Aus dem Englischen von Udo Rennert. Deutsche Verlagsanstalt, München 2009. 911 S., Fr. 84.90.

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