Mittwoch, 8. Juli 2009

Madoff, Romand und ihre Umwelten



Wie hätte wohl Lavater Madoffs Gesicht gedeutet?

Kühles Schauerwetter 12-18°

- Kautschuk
Ich habe kleine Esel davon in England gesehen,
allein der Ruhm eine neue Art von Eseln nach
Deutschland gebracht zu haben, reizte mich
eben nicht sehr. [UB 82] Lichtenberg

- Vier interessante Fälle: Madoff, Romand und ihre Umwelten:
" Der Rattenfänger aus der Wall Street.
Bernard Madoff wusste, wie man das Vertrauen seiner Opfer gewinnt: Er passte sich seiner Gesellschaftsschicht an.
FAZ 29. Juni 2009 Heute nennen sie ihn "Monster" oder "Mörder", vergleichen ihn mit Hitler oder Stalin. Gestern noch war er der liebe Bernie, der joviale Bekannte aus dem feinen Golfclub, der jahrelang immer die schönen Renditen auf das bei ihm angelegte Kapital gezahlt hatte. Die unbeschreibliche Wut, die viele ehemalige Kunden gegenüber Bernard Madoff äußern, erklärt sich wohl nicht allein mit dem Geld, das sie verloren haben.

Nicht zuletzt hat Madoff die Eigenliebe seiner Kunden erheblich verletzt, denn er wusste nicht nur ihr Vertrauen zu missbrauchen, sondern sie auch noch mit dem simpelsten Trick in der Welt des Anlagebetrugs hereinzulegen: dem Schneeballsystem. Die Betroffenen haben nicht nur erhebliche finanzielle Verluste erlitten, sie sind zudem fürchterlich blamiert. Kein Wunder, dass ein erfahrener französischer Anlageberater, der sich von Madoff wie eine Weihnachtsgans ausnehmen ließ, Selbstmord beging.

Wie kann eine solche Täuschung funktionieren? Es existiert ein erstaunlicher Parallelfall, in dem es allerdings nicht um Anlagebetrug großen Stils ging. Der Franzose Jean-Claude Romand täuschte während 18 Jahren selbst seiner Familie und seinen engen Freunden erfolgreich die Tätigkeit eines medizinischen Forschers vor, obgleich er nicht einmal einen Universitätsabschluss besaß. Seine Tage verbrachte Romand nicht im Labor, sondern in Wäldern und auf Autobahnparkplätzen. Das für sein Leben notwendige Geld erschlich er sich von Verwandten und Bekannten mit dem Versprechen, er könne es günstig anlegen. Als er nach knapp zwei Jahrzehnten aufzufliegen drohte, ermordete er seine Familie. Seine Freunde und Bekannten fielen aus allen Wolken, als sie von Romands Scheinexistenz erfuhren und sich ihrer unfassbaren Blindheit bewusst wurden.

Für Täuschungen über Jahrzehnte braucht es natürlich viel Glück und die Oberflächlichkeit von Behörden, die Verdacht schöpfen, aber nichts unternehmen. Die Beispiele von Madoff und Romand belegen, wie sich die Hauptpersonen aufführen müssen, damit die Täuschung gelingt: Sie verhalten sich im Rahmen ihrer Gesellschaftsschicht völlig normal. Madoff war als Mann, der trotz der Herkunft aus einfachen Verhältnissen und eines abgebrochenen Studiums den höchst erfolgreichen Geschäftsmann spielte, die Verkörperung des amerikanischen Traums. Er lebte mit Villen in Palm Beach und Südfrankreich standesgemäß, aber er besaß nirgendwo die exklusivsten Anwesen. Er spendete, wie in seiner Gesellschaftsschicht üblich, hohe Beträge, warf aber ansonsten nicht mit Geld um sich. Wie viele Menschen, die Vertrauen erwerben, hörte er eher verständnisvoll zu, als dass er viel sprach. Dass er sich innerhalb seiner Firma und gegenüber seiner Familie eher nicht wie ein Gentleman benahm, blieb offenbar ein Geheimnis.

Natürlich hätte dieser Schwindel viel früher auffliegen müssen. Die Aufsichtsbehörden hatten schon vor Jahren eindeutige Warnungen erhalten und nichts unternommen. Es erscheint zudem kaum glaubhaft, dass es nicht mehr Mitwisser gab. Aber dass offenbar auch kein Kunde über so lange Zeit Verdacht schöpfte, belegt, wie wenig sich Menschen um ihr Geld kümmern und wie sehr sie anfällig bleiben für die Verlockungen moderner Rattenfänger.

Plötzlich mussten viele Menschen, die mit Madoff seit vielen Jahren gesellschaftlich verkehrten, nicht nur feststellen, dass sie ihren Bernie gar nicht kannten. Vor allem mussten sie erkennen, dass sie kaltblütig als Opfer ausersehen und ausgenommen wurden. Denn Madoff hatte ja nicht ihm anvertraute Gelder unglücklich an der Börse verspekuliert. Das hätte man ihm vermutlich verziehen und dann den Vermögensverwalter gewechselt. Aber Madoff hatte von Anfang an nicht vor, das Geld seiner Kunden anzulegen.
Von dem falschen Arzt Romand weiß man, dass er sein Umfeld still zu verachten begann, gerade weil es ihn nicht enttarnte. Daraus las er fehlendes Interesse an seiner Person, das aus seiner Sicht wiederum seine Täuschungen legitimierte. Es ist nicht auszuschließen, dass auch Madoff keinerlei Unrechtsbewusstsein empfindet und seine öffentlichen Schambekundungen nicht mehr als Theater sind. GERALD BRAUNBERGER " FAZ