Sonntag, 16. Mai 2010

Du mußt dein Leben ändern.











Im Unterschied zu den neuen Griechen haben die Alten Griechen Beachtliches auf die Beine gestellt - so wandelbar und vergänglich ist Kultur. Die Alten Griechen hatten sie, die modernen Griechen haben die Museen.
Übrigens gefällt mir der Knabe (ca. 480 vS) rechts besser, Herr Rilke! Da fehlt nichts Wesentliches.




Archaischer Torso Apollos

Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen
der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.

Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz
und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.

Rainer Maria Rilke, Frühsommer 1908, Paris


Na, ja. Er hat sein Leben nicht geändert. Er blieb doch lieber bei seinen grazilen, gar nicht archaischen Schloßfreundinnen und schrieb gar keine kolossale, sondern ziselierte Lyrik. Er hat's nur so gesagt, dem Leser, wir sagen den anderen immer gerne, daß sie sich ändern müssen. Und man versteht durchaus den schmächtigen Rilke gebannt vom großen "Bug der Brust" (er schrieb auch gerne Kunstgewerbe).
Aber sonst, müssen wir uns heute am "Museumstag" fragen, dem Tag der "Stätten kultureller Bildung", wie es aus einschlägigem Funktionärsmunde posaunt, was ist und bringt uns die Kultur? Viele "Kultur"-Definitionen gibt es, sehr viele, sie reichen von der Kunst-Religion bis zur "Fußballkultur". Man kann es kurz fassen: Es handelt sich um Unterhaltung unterschiedlicher Art für ein unterschiedliches Publikum. Rilke ging gern ins Museum, sah dort lächelnd dem großen Torso zwischen die Beine, wo Winckelmann, der auch gerne dort hinschaute, "Edle Einfalt und stille Größe" wahrnahm.
Es liegt eben im Auge des Betrachters, so wie dem "Reinen alles rein" ist. Lassen wir es dabei. Schauen wir uns die Dinge einfach an, in den vielen, schon zu vielen Museen, amüsieren wir uns kultiviert, am besten mit dem Thukydides in der Hand, dann wäre sogar etwas zu lernen, wo Rilke und Winckelmann nur phantasierten. Welches Buch für das "Museum am Abteiberg" geeignet wäre? Vielleicht Andersen, "Des Kaisers neue Kleider"?