Montag, 27. Mai 2013

Kopftuch oder Säure




Ziemlich utopisch, was Dittmann hier aufstellt. Erstaunlich, daß die Frauenrechte hier gar nicht benannt werden, die durch die zunehmende Islamisierung bedroht werden.



Libyen besteht fast nur aus Sand (92% Wüste). Ein paar Städte und Dörfer gibt es aber doch, in denen etwa 6,6 Mio. Libyer leben. Es gibt reichlich gutes, also schwefelarmes Öl. Das erlaubte dem Diktator Gaddafi, arabischen Terror zu finanzieren und seine Untertanen zu verwöhnen: Rentenanrecht mit 18, dazu einen Peugeot als Autogeschenk. 
Die Arbeit verrichteten, wie in allen arabischen Ölländern, Arbeiter aus den öllosen Ländern, etwa Tunesien.
Andreas Dittmann, der die Anthropogeographie in Gießen vertritt und Libyen seit Jahrzehnten kennt, vertrat deshalb in seinem Vortrag vor der Bochumer Geographischen Gesellschaft die Auffassung, der Sturz Gaddafis sei aus demokratisch-säkularen Gründen erfolgt. Entsprechend hätten auch die islamistischen Kräfte in Parlament und Regierung nur ein Drittel der Sitze errungen.  

Taz-Leser Dittmann gab die libysche Einwohnerzahl für 1977 mit 2,2 Mio. an. Sie hätte sich damit in kurzer Zeit verdreifacht. Diese Spezialität findet sich in allen arabischen Ländern. Heinsohn nennt für 2003 eine Einwohnerzahl von 5,4 Mio., davon 35% unter 15 Jahren, was 1,88 Mio. Personen waren. Zum Umsturz 2011 gab es also eine große Zahl junger Männer unter 35 Jahren. Diese Gruppe ist bekanntlich besonders aggressiv gestimmt und kriegstüchtig, gesteigert in einer Kultur, die Waffen kultisch verehrt und kriegsbegeistert ist. 
Heinsohn: “Die fünfzehn- bis neunundzwanzigjährigen Kämpfer von 2011 aber stehen nicht gegen Kinder, sondern rebellieren gegen die Elite der fünfzig- bis fünfundsechzigjährigen Männer. Diese Gruppe zählt nur 350 000 Köpfe. Gegen sie halten die jüngeren Männer also eine Übermacht von fast drei zu eins. Damit stecken sie demographisch in einer ähnlich explosiven Lage wie die jungen Offiziere um Gaddafi im Jahre 1969. Als die den König Idris (1890 bis 1983) wegputschen, ist ihr Anführer gerade 27 Jahre alt und gehört zu den empörten Fünfzehn- bis Neunundzwanzigjährigen von damals.” (Libyens Jungrevolutionäre, F.A.Z., 25.02.2011)

Bei den Jungspunden von 2011 scheint es aber keine starken Führungspersonen zu geben, der Aufstand folgte eher dem Muster von Kirmesschlägereien, in dem alle mitmachen und draufhauen, aber nur aus Lust an der Gewalt. Ohne das militärische Eingreifen der Franzosen, Engländer und Amerikaner hätte Gaddafi vermutlich die Oberhand behalten. Die verschiedenen Jungbanden, Milizen und Gruppen sind sich jetzt nur darin einig, ihr schönes Kriegsspielzeug nicht abgeben zu wollen. Der Streit um eine neue Verfassung hält an.

Entgegen der Auffassung des taz-Lesers Andreas Dittmann registriert die Libyen-Expertin Almut Besold von der Universität Leipzig eine bereits eingetretene Verschlechterung der Lage der Frauen:
“’ Vielen Libyerinnen ist bewusst, dass ihnen diese Rechte (der Gaddafi-Verfassung, W.D.) mit Verweis auf den Islam in Zukunft genommen werden könnten. Deshalb setzt sich eine wachsende Zahl libyscher Frauen, für die Verankerung von Frauenrechten und Gleichberechtigung in der noch zu schreibenden Verfassung ein. Darunter sind junge Frauen aus den Reihen der revolutionären Bewegung 17. Februar, aber auch unabhängige Frauenorganisationen wie die "Voices of Libyan Women". Diese Organisationen sind teilweise sehr professionell. Doch die immer schlechtere allgemeine Sicherheitssituation und der zunehmende Frauenhass machen das Arbeiten kompliziert.’ Auch dort, wo keine bewaffneten Auseinandersetzungen toben, sei die allgemeine Stimmung extrem aggressiv, beobachtet Almut Besold. Außerdem steige die Zahl der Entführungen. Angesichts dieser Bedrohungen ziehen sich viele Frauen zurück in die eigenen vier Wände. Manche verschleierten sich aus purer Angst, obwohl sie es eigentlich nicht wollten, beobachtet Almut Besold.
‚Das geht natürlich nicht durch staatlichen Druck, dass die nicht mehr dürfen, sie machen das freiwillig, weil sie merken, sie werden ganz stark diskriminiert und sehr schlecht behandelt in der Öffentlichkeit. Wenn Sie keins tragen, und zum Beispiel auf einen Universitätscampus gehen, dann werden sie per Lautsprecher aufgefordert, ein Kopftuch anzulegen, und wenn sie das nicht machen, dann werden ihnen gewisse Dinge angedroht, sei es, mit Säure bespritzt zu werden.’ “
(DLF-Serie: Welche Rolle wird die Religion nach den arabischen Revolutionen in den neuen Verfassungen spielen? Teil 4, 13.12.2012 )
Taz-Leser Andreas Dittmann hat vermutlich seine positive Bewertung des Umsturzes über die taz bezogen, in der die alte Revoluzzer-Gesinnung von 1968 fortlebt. Es liegt auf der Hand, daß in den zurückgebliebenen Gesellschaften mit Frauenunterdrückung weltweit nur langsam ein zivilisatorischer, befriedender Fortschritt erreicht werden kann durch zementierte und praktizierte Frauen-rechte. Das gilt gesteigert für die hochaggressiven Jungmännergesellschaften des Nahen Ostens.
Es sieht für Libyen also offenbar nicht so gut aus, wie der taz-lesende Professor darstellte. Daß er die neue Situation der lybischen Frauen gar nicht erst ansprach, erscheint als sehr merkwürdig.  
Zitierte Literatur: Gunnar Heinsohn, Söhne und Weltmacht, Terror im Aufstieg und Fall der Nationen, 2003