Samstag, 21. März 2015

Nicco und Fritz











25. Welchen Einfluß das Glück auf die Angelegenheiten der Menschen hat.
Ich weiß wohl, daß Viele ehedem die Meinung gehegt haben und noch jetzt hegen, die Begebenheiten der Welt würden solchergestalt vom Glücke und von Gott regiert, daß die Menschen mit aller Klugheit sie nicht verbessern und nichts dagegen ausrichten könnten. Daraus könne man abnehmen, daß es nicht der Mühe werth sei, viel einzufädeln, sondern daß man sich nur dem Schicksale hingeben möge. Diese Meinung hat in unsern Tagen durch die großen Veränderungen, die Alles erlitten hat, die man noch täglich sieht, und welche alle menschlichen Vermuthungen zu Schanden machen, viel gewonnen. Indem ich hierüber nachgedacht, bin ich zu Zeiten geneigt gewesen, mich zu derselben Meinung zu bekennen. Weil aber doch der menschliche freie Wille damit in Widerspruch steht, so urtheile ich, daß das Glück wol die Hälfte aller menschlichen Angelegenheiten beherrschen mag; aber die andre Hälfte, oder doch beinahe so viel, uns selbst überlassen müsse. Ich vergleiche das Glück mit einem gefährlichen Flusse, der, wenn er anschwillt, die Ebene überschwemmt, Bäume und Gebäude umstürzt, Erdreich hier fortreißt, dort ansetzt. Jedermann flieht davor und gibt nach; Niemand kann widerstehen. Dennoch können die Menschen in ruhigen Zeiten Vorkehrungen treffen, mit Deichen und Wällen bewirken, daß der Fluß bei hohem Wasser in einem Canale abfließen muß, oder doch nicht so unbändig überströmt und nicht so viel Schaden thut. In gleicher Art geht es mit dem Glücke, welches seine Macht zeigt, wo keine ordentlichen Gegenanstalten gemacht sind, und sich mit Ungestüm dahin kehrt, wo keine Wälle und Dämme vorhanden sind, es im Zaume zu halten. Wenn man Italien betrachtet, welches [pg 118] der Sitz dieser großen Umwälzungen gewesen ist, so wird man ein ebenes Feld finden, ohne Wälle und Dämme. Wäre dieses Land durch hinlängliche Kriegstugend vertheidigt, so wie Deutschland, Frankreich und Spanien, so hätten jene Ueberschwemmungen keine solchen Umwälzungen hervorgebracht, oder wären gar nicht eingetreten. So viel im Allgemeinen vom Widerstande gegen das Schicksal. Nunmehr der Sache näher zu treten, sage ich, daß man einen Fürsten heute im Wohlstande, morgen zu Grunde gehen sieht, ohne daß er seine Natur im Geringsten verändert habe. Dies scheint mir zuerst von den Ursachen herzurühren, die ich oben ausführlich erörtert habe: nämlich, daß ein Fürst, der sich ganz auf das Glück verläßt, zu Grunde gehen muß, sobald dieses sich dreht. Ferner glaube ich, daß es dem gut gehe, der in seiner Handlungsweise mit dem Geiste der Zeit zusammentrifft, und daß derjenige verunglücken müsse, der mit den Zeiten in Widerspruch geräth. …”
Dies ist eine klare Absage an den Fatalismus, die am Ende des Kapitels noch einmal bekräftigt wird. Der Hintergrund der ganzen Schrift rückt hier ins Auge und mündet im Schlußkapitel: “Aufruf, Italien von den Barbaren zu befreien”. Die italienischen Partialherrschaften kooperierten mit ausländischen Mächten, mit Frankreich und Spanien, und waren zugleich deren Spielball. Und ihre Bürger mit.
Dieses quasi-nationale Anliegen hat sich dann in ganz Europa durchgesetzt, heute wieder in Frage gestellt durch die Multikulti-Ideologie.
Der schlechte Ruf Machiavellis verdankte sich früh seinen Gegnern, die seinen realanalytischen Blick ohne Ornamente und bunte Schleifen ablehnten. Fürstbischöfe waren das, zum Beispiel, aber auch Thronfolger wie Friedrich II., der kurz vor seiner Machtübernahme den “Antimacciavell” schrieb, durchaus mit diskutablen Argumenten. Zwei Jahre später griff er Österreich in Schlesien an und annektierte es. Dergestalt Machiavelli bestätigend:
„… Sie ist in der That eine natürliche und gewöhnliche Sache, die Begierde zu Eroberungen: und die Menschen werden immer gelobt und nicht getadelt, die so etwas unternehmen, wenn sie es ausführen; wenn sie das aber nicht vermögen und doch unternehmen, es koste was es wolle: da liegt der Fehler, und darüber werden sie getadelt. …“ (N.M., Fürst, Ende 3. Kap., Reclam S. 45)

Es sollte in Europa noch lange dauern, bis der Krieg als ganz normales Mittel der Politik diskreditiert wurde. Dieser Paradigmenwechsel gilt aber weitgehend nur für Westeuropa. Die Außenpolitik, will sie sich nicht an Fortuna und den Fatalismus ausliefern, muß das berücksichtigen.